HAFTUNG UND RECHT
Neue Baumkontrollrichtlinie 2020 – Stets im Blick: Bäume
Text: Ulrike Reschke | Foto (Header): © soupstock – stock.adobe.com
Im April 2020 sind die Baumkontrollrichtlinien neu erschienen. Das Regelwerk enthält nun auch Hinweise zur Kontrolle und Pflege von Bäumen in schwer zugänglichen Bereichen, wie beispielsweise Hanglagen.
Auszug aus:
der bauhofLeiter
Ausgabe August 2020
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Straßensperrungen nach Unwettern wegen umgestürzter Bäume, herabfallender Äste oder durch auf Straßen liegende Bäume ausgelöste Verkehrsunfälle, Meldungen dieser Art liest und hört man im Sommer und Herbst häufig. Manche Verantwortliche lassen inzwischen Bäume entlang von Straßen vorsorglich fällen, um solche Szenarien zu vermeiden. Doch das ist nicht der richtige Weg, meint der Jurist Rainer Hilsberg. Das Vorgehen in schwer zu kontrollierenden Bereichen, wie beispielsweise Hanglagen, regeln die im April neu erschienenen Baumkontrollrichtlinien der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung – Landbau e. V. (FLL). Sie können damit auch dazu beitragen, unnötige Rodungen zu verhindern.
„Die Baumkontrollrichtlinien kamen zustande, weil man erkannte, dass die zweimal jährlichen Baumkontrollen, wie sie von der Rechtsprechung pauschal gefordert wurden, aus fachlichen Gründen nicht gerechtfertigt waren“, sagt Rainer Hilsberg. Als Leiter des Sachgebiets öffentliche Sicherheit und Ordnung ist er bei der Regierung von Schwaben für Straßenbäume zuständig. Hilsberg veröffentlicht regelmäßig Artikel in Fachzeitschriften und ist darüber hinaus einer der Autoren des im Forum Verlag im April neu erschienenen Buchs „Das 1×1 der Baumkontrolle“.
Inhalt von Richtlinien und Fachbuch
Kurz gefasst, so Hilsberg, geben die Baumkontrollrichtlinien Hinweise, wo, in welcher Form, wie oft und wie zu kontrollieren und zu dokumentieren ist. Das Fachbuch orientiert sich an den von der FLL entwickelten Richtlinien zur Sichtkontrolle. Es liefert zusätzliche fachliche Inhalte und praktisches Wissen für die verpflichtende Baumkontrolle. Darüber hinaus ergänzt es bzw. nimmt es schon seit seiner ersten Auflage manche Themenbereiche vorweg, wie etwa die Dokumentation bei flächigen Baumbeständen – ein Punkt, den die Richtlinien heuer neu aufgreifen, den das Buch jedoch bereits seit Jahren thematisiert.
„Wegen ihrer haftungsrechtlichen Pflichten müssen Verantwortliche für Bäume – i. d. R. sind dies die Grundstückseigentümer – ihren Baumbestand regelmäßig hinsichtlich möglicher Gefahren überprüfen und dafür sorgen, dass keine Schäden und Beeinträchtigungen für andere entstehen“, sagt Dr. Henrik Weiß vom Büro Baum & Landschaft, ebenfalls Autor des Fachbuches „1×1 der Baumkontrolle“.
Neben den Kontrollintervallen präzisieren die Baumkontrollrichtlinien fachliche Grundlagen, wie etwa zur Einteilung der wichtigsten Baumarten entsprechend ihrer typischen Lebenserwartung als Hilfsmittel für die Einordnung in Entwicklungsphasen oder zu Baumschäden bei Bauarbeiten im Umfeld.
Die Gefahrenbeurteilung
Die wichtigsten Kriterien bei der Gefahrenbeurteilung sind laut Dr. Weiß Anzeichen für Gefahren oder verdächtige Umstände, die bei einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vom Boden aus – bei Besichtigung des ganzen Baums von allen Seiten – erkannt werden können. „Gab es solche Anzeichen und ist deshalb Schaden entstanden, dann gilt der Schaden als ‚vorhersehbar’, und für Verantwortliche (Baumeigentümer bzw. deren Vertreter/Beauftragte) können zivilrechtliche oder sogar strafrechtliche Konsequenzen entstehen“, sagt er. Daran habe sich – im Vergleich zur vorherigen Version – nichts geändert.
Die Pflichterfüllung kann im gegebenen Fall mit einem Baumkataster nachgewiesen werden. „Das Kataster als Beweismittel für die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht im Streitfall dient also zur Minderung des Haftungsrisikos“, erklärt Dr. Weiß.
Was ist neu?
Die Regelung über die Kontrollintervalle sei in seinen Augen der wichtigste Punkt des Regelwerks der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung – Landbau e. V. (FLL), sagt Rainer Hilsberg. „Das war 2004 innovativ und hat sich nun durchgesetzt.“ In die neue Auflage der Richtlinien von April 2020 wurden rechtliche Grundlagen auf der Basis jüngerer Urteile aufgenommen, etwa zu Baumkontrollen bei Waldbäumen, Gefahr in Verzug oder zum Artenschutz.
„Neu und noch keine anerkannte Regel der Technik“ ist laut Hilsberg der Abschnitt, der Grenzen von Regelkontrollen aufzeigt, z. B. bei schwer zu kontrollierenden Flächen, wie Hanglagen oder extremem Unterwuchs. „Es gibt viel Unsicherheit in der Praxis, wie das zu handhaben ist“, erklärt Hilsberg, „bisher wurden solche Bäume einfach gefällt“. Zu beobachten sei dies beispielsweise an Hängen von Bahnstrecken, entlang von Autobahnen oder bei Neuplanungen. „Es kommt alles weg, was potenziell auf die Strecke fallen könnte“, so Hilsberg.
Sichtkontrolle auch aus der Ferne
Als Erleichterung für Baumkontrolleure sieht Rainer Hilsberg die fachliche Auffassung, dass in nicht zumutbaren Fällen eine Sichtkontrolle aus der Ferne erfolgen kann.
Zwar würden dabei möglicherweise nicht alle Schäden erkannt, das präventive Fällen des Baums sei aber keine akzeptable Alternative. Erst wenn der Kontrolleur einen Schaden bemerke, müsse er näher kontrollieren.
Weitere neue Inhalte der Richtlinien:
- ein Abschnitt über Wald(wege) nach BGH-Waldwegurteil, Waldaußenrand
- ein Kapitel zum Artenschutz (Schnittverbot nach § 39 BNatSchG vom 01.03. bis 01.09). Der Besondere Artenschutz § 44 BNatSchG ist Hilsberg zufolge nicht erwähnt.
- Ergänzungen: Dokumentation (flächige Baumbestände), bei der es sich der Sache nach um die sog. Negativkontrolle handelt.
Wer führt Baumkontrollen durch
Baumkontrolleur ist kein Ausbildungsberuf. In der Praxis sind mit der Aufgabe Personen betraut, die geschult, aber nicht zwingend Baumfachleute sein und praktisch eingearbeitet sein müssen. Oft kommen Baumkontrolleure aus dem grünen Bereich, sie sind beispielsweise Gärtner. „Es genügen ausreichende Fachkenntnisse, die regelmäßig zu vertiefen sind“, sagt Rainer Hilsberg.
Baumkontrolleure müssen Schäden, wie beispielsweise Pilze und Krankheiten, sowie Schadsymptome erkennen, deren Gefährdungspotenzial einschätzen und weiteren Handlungsbedarf mit der Angabe der Dringlichkeit festlegen. Baumkontrolleure sollten in Hilsbergs Augen nur Maßnahmen anordnen, die den Baum nicht schädigen.
Als Herausgeber der Richtlinien bietet die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung – Landbau e. V. (FLL) ein Zertifizierungsverfahren mit schriftlicher und praktischer Prüfung zum Baumkontrolleur an.
Fazit
Rainer Hilsberg sieht in den neuen Richtlinien eine eindeutige Erleichterung für Bauhöfe bei schwer zu kontrollierenden Flächen.
„Die Richtlinien bleiben nicht ohne Folgen für kommunale Bauhöfe“, sagt Dr. Henrik Weiß. „Sie müssen die Organisation und Umsetzung von Baumkontrollen überprüfen und ggf. Baumkataster anpassen (z. B. Dringlichkeiten).“
Die Baumkontrollrichtlinien
Die „Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit“ der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung – Landbau e. V. (FLL) ist im April 2020 in dritter, aktualisierter Auflage erschienen. Die Erstauflage stammt aus dem Jahr 2004, eine weitere folgte 2010. Diese „Baumkontrollrichtlinien” fassten erstmals Grundlagen der Baumkontrolle zusammen.
Das Regelwerk dient als einheitlicher Leitfaden für die Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen im besiedelten Raum. Die Rechtsprechung zieht es als fachliche Leitlinie heran.
Inhalt der Baumkontrollrichtlinien
Rechtliche Begründung für Baumkontrollen
Anwendungsbereiche: Bäume im urbanen Bereich, Waldbäume an Straßen usw.
Verkehrssicherungspflicht und Artenschutz
Fachliche Grundlagen: Baumbiologie, Wachstum und Entwicklung, Belastungsfaktoren, Schäden und Gefahren etc.
Durchführen von Baumkontrollen: Anlässe, Häufigkeit, abgestuftes Vorgehen, Umfang, Dokumentation, Grenzen usw.