ERFAHRUNGSBERICHTE UND INTERVIEWS
Mehr als nur Außenlicht
Text: Ulrike Reschke | Foto (Header): © Schreder
Kaputte Leuchten stückweise auszutauschen, war gestern. Heute rücken umfassende Lichtkonzepte Faktoren wie Sicherheit, Energie und Umwelt in den Fokus. Europaweit Vorbild ist die Bahnstadt in Heidelberg.
Auszug aus:
der bauhofLeiter
Ausgabe Juni 2021
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INHALTE DES BEITRAGS
Leitlinien und Grundlagen
So wenig wie möglich, so viel wie nötig
Vom Licht zur smarten Stadt
In der Bahnstadt, einem Stadtteil von Heidelberg (Baden-Württemberg), wird es nachts nie richtig dunkel – aber auch nicht taghell. Das dient dem Sicherheitsempfinden der Menschen und dem Schutz von Insekten und nachtaktiven Tieren. Zugrunde liegt ein umfassendes Beleuchtungskonzept mit einer Steuerung per Telemanagement. Die Bahnstadt, das 166 Hektar große Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs, bietet Wohnraum und Infrastruktur für Arbeiten, Kultur, Bildung und Freizeitgestaltung und ist ausschließlich im Passivhausstandard bebaut. Sie gilt als ökologischer Vorzeigestadtteil und Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung. Rund zwei Jahre erforderte allein die Planung des auf der Nutzungsart der einzelnen Bereiche – Hauptstraßen, Seitenstraßen, Randbereiche und Radwege – basierenden Lichtkonzepts. Ziel war, das individuelle Sicherheitsempfinden durch die Vermeidung von Schattenzonen zu erhöhen. Ellen Frings, Sprecherin der Stadtwerke Heidelberg, beschreibt: „Wir haben Bereiche wie Gehwege und Straßen mithilfe von Lichtfarben gegliedert, die Beleuchtungsstärken an die Verkehrssituation angepasst und vieles mehr.“ Fußgängerbereiche werden mit warmweißen LED ausgeleuchtet, die Straßenbeleuchtung ist mit neutralweißen LED ausgestattet. 1000 LED-Leuchten sorgen für eine 75%ige Einsparung bei Energie und CO2 im Vergleich zu herkömmlichen Leuchtmitteln.
Für jede Nutzungsart ist ein eigenes Dimmprofil im Telemanagement hinterlegt. So wurde beispielsweise berücksichtigt, dass es ein Kino gibt, das zu bestimmten Uhrzeiten Auto-, Radfahrer- und Fußgängerverkehre auslöst, und die Lichtsituation darauf abgestimmt. Auf dem 3,5 km langen Fahrradweg steuern Bewegungssensoren 130 LED-Leuchten. So lange kein Radfahrer unterwegs ist, bleiben sie auf 30 % der Leistung gedimmt. Intensiver strahlen sie, wenn der Weg benutzt wird. Das zugrunde liegende Motto heißt: „Licht nach Bedarf“. „Das vermindert die Aufhellung des Nachthimmels und schützt die Insekten“, sagt Ellen Frings. Aus diesem Grund werden in wenig genutzten Randbereichen am Übergang zu unbebauten Flächen die Leuchten zwischen 24 und vier Uhr auf 25 Prozent Grundbeleuchtung zurückgeschaltet.
„Wer sich heute um Beleuchtung kümmert, denkt über das reine Beleuchten weit hinaus und steht in Abstimmung mit vielen Partnern ganz unterschiedlicher Disziplinen“, sagt Ellen Frings. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt Bahnstadt fließen in die Neuplanung der zuvor im Besitz der US-Armee befindlichen Konversionsflächen ein. Das Areal soll bereits als Smart City entwickelt werden. Derzeit arbeitet die Digital-Agentur-Heidelberg, ein Partnerunternehmen der Stadt und der Stadtwerke, an einem Smart-Winter-Konzept, von dem man sich Effizienzvorteile bei Straßenreinigung und Abfallwirtschaft erhofft.
Leitlinien und Grundlagen
Doch wie anfangen? Was macht eine gute Außenbeleuchtung aus? Erste Informationen und wichtige Grundlagen zum Thema Licht bietet eine Veröffentlichung des Bundesministeriums für Naturschutz (BfN): „Leitfaden zur Neugestaltung und Umrüstung von Außenbeleuchtungsanlagen. Anforderungen an eine nachhaltige Außenbeleuchtung“. Begleitend zu einer im Nachbarland Österreich seit 2012 geltenden Norm zu den Lichtimmissionen (ÖNORM 01052) entstand in der Alpenrepublik ein Leitfaden, bei dem Bundesländer, Spezialisten aus Verkehr und Lichttechnik, Mediziner, Straßenplaner, Astronomen und andere zusammenarbeiteten, um den größten gemeinsamen Nenner zu finden: Licht im Außenraum, das mehr nützt als stört. Für deutsche Kommunen ist er ebenfalls interessant, da er über die Grundlagen einer zeitgemäßen Beleuchtung aufklärt.
„Der sorglose Umgang mit Licht im Außenraum muss aufhören und als Störung und Immission gesehen werden, dann wird ein sensibler Umgang erreicht“, sagt Bernhard Gruber (L.U.X. GmbH, Wien), Ingenieur für Lichttechnik. Oftmals würden Leuchten „eins zu eins“ und völlig ohne Konzept getauscht, Kommunen entschieden meist nur nach der Optik der Leuchten bzw. nach dem Preis. Gruber rät, Ingenieurbüros und zertifizierte Lichtplaner von Anfang an einzubinden, da die häufigsten Fehler in der Basisarbeit, bei der Lichtplanung also, lägen. „Zu Beginn muss die Zweckmäßigkeit herausgearbeitet werden“, fordert der Spezialist aus Wien, „sprich Licht nur dann und in der Menge wie benötigt.“ Entscheidend bei der Erarbeitung eines Beleuchtungskonzepts sind laut Gruber neben der Zweckmäßigkeit: Dosis (Intensität und Brenndauer), Lichtfarbe und -intensität sowie die Lichtverteilung.
So wenig wie möglich, so viel wie nötig
„Öffentliche Beleuchtung sollte immer bedarfsgerecht, kosten- und energieeffizient sein“, sagt Berthold Laing, swb Beleuchtung (Bremen), die Lösungen für Städte und Kommunen bietet. Bedarfsgerecht bedeute, die Beleuchtung an die Gegebenheiten und individuellen Wünsche einer Kommune anzupassen – und Normen, Empfehlungen und Richtlinien bei der Planung einzubeziehen.
Überlegungen am Anfang:
Wann wird Beleuchtung benötigt?
Bei Dunkelheit: Start- und Zeitpunkt, Dauer der Beleuchtungsphase
Wo soll beleuchtet werden?
Öffentliche Verkehrsflächen: Straßen, Wege, Plätze, Fußgängerzonen, Passagen, Arkaden, Gebäude/Fassaden, Grünzüge, Treppen, Tunnel
Wer benötigt die Beleuchtung?
Die Verkehrsteilnehmer: Fußgänger, Radfahrer, Pkw, ÖPNV
Warum wird Beleuchtung benötigt?
Sicherheitsempfinden, Verkehrssicherheit, Attraktivität und Belebung von Plätzen und Orten
Quelle: swb Beleuchtung
Laut swb Beleuchtung verursacht die öffentliche Beleuchtung rund ein Drittel des kommunalen Energieverbrauchs. Der Grund: veraltete Belichtungsanlagen, die teilweise noch mit den seit April 2015 verbotenen Quecksilberdampflampen bestückt sind. „Durch den Umstieg auf energieeffiziente LED-Leuchten lassen sich Kosteneinsparungen von bis zu 70 Prozent realisieren“, sagt Berthold Laing.
Signifikante Einsparungen können nur bei einer zügigen Komplettsanierung erreicht werden, daher sollten Kommunen vermeiden, die Straßenbeleuchtung stückweise über einen langen Zeitraum zu modernisieren. Im Vorfeld sollten sie sich – nach einer Bestandsaufnahme – über Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten informieren. „Im Falle einer Förderung sollte ausreichend Eigenkapital für die Sanierung alter, defekter Erdkabel und die Masten zur Verfügung stehen“, mahnt Laing. Es würden lediglich die energiesparenden Leuchten gefördert.
Im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums wurde 2019 das Projekt „Sanierung der Straßenbeleuchtung (Vulkan-Pilz) in Bremen“ umgesetzt, gefördert vom Projektträger Jülich. Ursprünglich sollten in einem Zeitraum von fünf Jahren rund 800 Pilzleuchten pro Jahr saniert werden. Durch das Vorziehen in das Jahr 2019 konnten Aufträge gebündelt und Einsparungen bei Energie- und Materialkosten erzielt werden. Zusammen mit der Förderung wurden insgesamt über 500.000 Euro frei, die dazu verwendet wurden, alle 7.576 Pilzleuchten innerhalb eines Jahres zu erneuern – ohne dass die Stadt Bremen dafür Mittel bereitstellen musste. „Darüber hinaus werden die neuen LED-Leuchten nun nachts gedimmt, wodurch insgesamt 78 Prozent Energie eingespart werden “, sagt Laing.
Vom Licht zur smarten Stadt
Das smarte Beleuchtungskonzept im historischen Stiftsbezirk von Bad Hersfeld (Hessen) – ein Areal um die geschichtsträchtige Stiftsruine, das für Veranstaltungen wie die Bad Hersfelder Festspiele genutzt wird – soll sich eines Tages auf die gesamte Stadt ausweiten. Den Start machte der Ausbau der Glasfaserinfrastruktur. Seit 2017/18 plante die Stadt das Konzept, für den Hessentag 2019 wurde es schließlich mit Förderung durch das Land umgesetzt. Damit waren die Kosten in Höhe von 343.000 Euro gedeckt. Im Mittelpunkt des Lichtkonzepts für den Stiftsbezirk standen Sicherheitsgewinn, Energieeinsparung und der Gewinn der Aufenthaltsqualität vor allem zu Tagesrandzeiten. „Die Stadt- und Straßenbeleuchtung bietet als bereits existierende Infrastruktur den idealen Einstieg in die Smart-City-Infrastruktur“, sagt Bürgermeister Thomas Fehling.
Eingebunden in Planung und Umsetzung waren Fachleute vom Archäologen über Energieversorger und Veranstalter bis zur ITAbteilung der Stadt. 37 neue Leuchtenstandorte brachten eine Energieeinsparung von rund 60 %. Bewegungsmelder machen Licht dort, wo es gebraucht wird, zu dem Zeitpunkt, an dem es gebraucht wird. „Der alte Widerspruch ‚Licht an oder aus‘ gilt nicht mehr“, so Thomas Fehling.
Die Außenbeleuchtung macht nicht nur Wege sicherer, durch sie lassen sich gegebenenfalls auch Fassadenflächen, Fensterbögen und markante Gebäudeecken der Stiftsruine in eine Lichtinszenierung einbeziehen. Mittels einer zusätzlichen Lichtsteuerung lassen sich separat steuerbare Lichtnetze anlegen, die via Internet oder über eine Handy-App gedimmt und angepasst werden können. Multifunktionale Stelen – anstelle der alten Laternenmasten – in Verbindung mit einem Telemanagementsystem ermöglichen die Vernetzung mit der zentralen städtischen Datenplattform „urban pulse“, über die Anwendungen im öffentlichen Raum zentral gesteuert werden. Neben Licht bieten die Stelen weitere Module wie WLAN, Kameraüberwachung (gezielt am Hessentag von der Polizei genutzt, seither abgeschaltet) und Lautsprecher.
Im Stiftsbezirk sollen weitere 16 Leuchtenstandorte mit einer intelligenten Steuerung versehen werden. Etwa 3.000 der insgesamt rund 5.300 Beleuchtungsstandorte im gesamten Stadtgebiet wurden seit 2015 bereits auf LED umgerüstet, berichtet Fehling. In einem rollierenden System sollen im Rahmen ohnehin anstehender Baumaßnahmen auch die übrigen Straßenlampen ausgetauscht werden.
Eine Möglichkeit, die Straßenbeleuchtung ohne Eigeninvestitionen und staatliche Finanzhilfen zu modernisieren, zeigen wir in der August-Ausgabe am Beispiel der Gemeinde Ascheberg in Schleswig-Holstein.
Literatur:
Bundesamt für Naturschutz (BfN): Leitfaden zur Neugestaltung und Umrüstung von Außenbeleuchtungsanlagen. Anforderungen an eine nachhaltige Außenbeleuchtung (BfN-Skripten 543, 2019), digital erhältlich unter: http://www.bfn.de/skripten.html
Österreichischer Leitfaden Aussenbeleuchtung. Licht, das mehr nützt als stört, Download bspw. unter:
http://www.salzburg.gv.at/themen/gesundheit/gesundheit-vorsorge/umweltmedizin/licht