ERFAHRUNGSBERICHTE UND INTERVIEWS

Besondere Mitarbeitende

Text: Ulrike Reschke | Foto (Header): © Stephan Hollmann – integra MENSCH, Bamberger Lebenshilfe-Werkstätten gGmbH

Inklusion ist gesetzlich verankert, aber noch lange nicht überall alltäglich. Anders im Bauhof Stegaurach. Dort wird das Thema seit Jahren gelebt, ebenso in fünf weiteren Bauhöfen im Landkreis Bamberg. Das sind Herausforderungen und Chancen.

Auszug aus:

der bauhofLeiter
Ausgabe Oktober 2022
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Die Lieblingsarbeit von Donald Wohnfurter ist das Gießen. Die Pflanzen im Stadtgebiet zu wässern, war seine erste Aufgabe, als er vor etwa zehn Jahren am Bauhof Stegaurach anfing. Seither liebt er diese Tätigkeit über alles und ist beinahe unglücklich, steht sie einmal nicht auf dem Aufgabenplan. „Fragt man ihn nach seiner Lieblingstätigkeit, kommt ein breites Grinsen und die kurze Antwort: ‚Gießen!‘“, erzählt Irmgard Neundörfer, stellvertretende Leitung von Integra Mensch der Bamberger Lebenshilfe-Werkstätten gGmbH. Donald Wohnfurter ist wie sein Kollege im Bauhof Stegaurach, Christian Fuchs, Angestellter der Integra Mensch, und in ein seit 2004 im Landkreis Bamberg (Bayern) bestehendes Kooperationsprojekt integriert. Mehrere Betriebe, darunter sechs kommunale Bauhöfe, beschäftigen Angestellte der Lebenshilfe-Werkstatt mit geistigen Beeinträchtigungen oder Lernbehinderungen, welche die Arbeit in einem Betrieb einer Tätigkeit in einer der WfbMs-Werkstätten vorziehen, am ersten Arbeitsmarkt aber ohne Unterstützung keine Chance haben.

Zusammen mit seinem jeweiligen Inklusionsbegleiter erarbeitet jeder Integra-Mensch-Beschäftigte, der an dem Projekt teilhaben möchte, zunächst ein persönliches Profil, das seine Stärken und Fähigkeiten sowie Vorlieben beschreibt. „Der Mensch mit Handicap soll dabei die Richtung vorgeben“, erläutert Irmgard Neundörfer. Auch bei der Suche nach einer geeigneten Stelle am ersten Arbeitsmarkt sowie während der gesamten Tätigkeitsdauer unterstützt der Inklusionsbegleiter. Gemeinsam mit dem Betrieb wird nach einem Praktikum der Aufgabenbereich für den neuen Mitarbeiter geschaffen.

Der Inklusionsbegleiter steht auch Betriebsangehörigen zur Seite, die im Umgang mit Menschen mit Behinderung nicht erfahren sind oder zunächst Berührungsängste zeigen. Ziel des Projekts mit dem Titel „Region Bamberg bewegt“ ist die langfristige Einbindung in Betriebe – darunter kommunale Einrichtungen wie die Bauhöfe Stegaurach, Altendorf, Burgebrach, Pommersfelden, Strullendorf oder Lisberg, aber auch Autohäuser, Bäckereien, Gärtnereien, Kindertagesstätten und Senioreneinrichtungen. Insgesamt bietet das Projekt 160 sog. Patenschafts-Arbeitsplätze. Im Idealfall mündet eine solche Beschäftigung in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit.

Donald Wohnfurter kommt jeden Tag mit dem Roller zum Bauhof Stegaurach, auf dem er seit zehn Jahren arbeitet. „Egal, wie das Wetter ist, er erscheint immer pünktlichst zum Arbeitsbeginn“, sagt Irmgard Neundörfer. „Eine halbe Stunde vorher ist er mit seinem Roller da“, konkretisiert Bauhofleiter Christian Zirkel. Darüber wurde auch schon gedichtet, weiß Irmgard Neundörfer, und zitiert: „Ob Regen, Hagel oder Wind, der Donald als Erster am Bauhof beginnt.“ Auf seinem motorisierten Zweirad ist Wohnfurter auch in der Freizeit unterwegs. An den Wochenenden besucht er Bauhof-Kollegen, um mit ihnen Kaffee zu trinken, Eis zu essen oder einen kleinen Plausch am Gartenzaun zu halten. „Es sind echte Freundschaften entstanden“, sagt sein Chef Christian Zirkel.

Christian Fuchs, seit 2007 im Bauhof beschäftigt, gilt im Team als das Gedächtnis für Termine aller Art in der Gemeinde Stegaurach, sagt Irmgard Neundörfer, die ihn auch als „Herr der Schilder“ bezeichnet. Bei Straßenfesten erhält er den Absperrungs- Plan von Bauhofleiter Zirkel, sucht die benötigten Schilder aus und montiert sie. „Beim Aufstellen mit den Kollegen kann er auch Anweisungen geben, wo welches Schild stehen muss“, sagt Irmgard Neundörfer.

Christian Zirkel, seit 2017 Leiter des Bauhofs Stegaurach, hat das Projekt von seinem Vorgänger übernommen und ist zu 100 % davon überzeugt. „Man kennt sich und es läuft“, sagt er, „die beiden gehören fest zum Team“. Es gebe, bedingt durch die kognitiven Beeinträchtigungen, Grenzen bei den Einsatzmöglichkeiten. Darauf gingen aber alle Mitarbeitenden ein und nähmen Rücksicht. Wichtig: „Die beiden brauchen einen Rhythmus und feste Zeiten.“ Wiederkehrende Abläufe helfen Christian Fuchs und Donald Wohnfurter, den Anforderungen gerecht zu werden. Für die jährliche Sicherheitsunterweisung der beiden nimmt sich der jeweilige Pate – das sind Stephan Heilmann und Klaus Vogel – einen halben Tag Zeit.

Die Atmosphäre im Bauhof ist geprägt durch ein gutes und respektvolles Verhältnis aller. Die Paten Heilmann und Vogel, erfahrene Kollegen vom Bauhof, sind die ersten Ansprechpartner für Donald Wohnfurter und Christian Fuchs. „Die Paten müssen einfühlsam sein und auf Probleme eingehen“, beschreibt Christian Zirkel die Anforderungen. Stephan Heilmann engagiere sich als Pate für Donald Wohnfurter, weil er denke, gut zueinander zu passen. „Durch einen Verwandten mit einer Behinderung hat er sich schon vor Übernahme der Patenschaft das nötige Feingefühl angeeignet“, erklärt Christian Zirkel. Klaus Vogel wohnt im gleichen Ortsteil wie sein Mentee Christian Fuchs und kennt dessen Eltern. „Dadurch hatten die beiden ein sofortiges Freundschaftsund Vertrauensverhältnis“, beschreibt Zirkel.

Die Herausforderung eines inklusiven Teams sei noch mehr als in einem gewöhnlichen Team: „Man muss auf die Menschen eingehen und respektvoll miteinander umgehen.“ Für die Zusammenarbeit mit Fuchs und Wohnfurter bedeutet dies z. B.: Es wird jeweils nur eine Aufgabe gestellt. Ist sie erledigt, folgt die nächste Arbeitsanweisung. „Die Kollegen brauchen auch Bestätigung. Die bekommen sie, indem ihre Arbeit gewürdigt wird“, sagt Christian Zirkel. Man müsse sich darauf einlassen, dass die Zusammenarbeit anders ist als in einem nicht-inklusiven Team. „Unsere Beschäftigten geben auch viel zurück“, sagt Irmgard Neundörfer. Als bereichernd gelten sie im Bauhof Stegaurach, wo aus Kollegen längst Freunde wurden.

Für jeden Integra-Mensch-Beschäftigten ist im jeweiligen Partnerbetrieb eine feste Ansprechperson da. Dieser Pate oder die Patin ist nicht nur erste Anlaufstelle bei Problemen und Fragen, er oder sie achtet auch darauf, dass der besondere Kollege nicht überlastet ist und steht diesem im Arbeitsalltag zur Seite. Irmgard
Neundörfer freut sich: „Es ist faszinierend, wie sehr die Menschen bereit sind, für unsere Mitarbeitenden helfend da zu sein.“ Unterstützt werden die Paten von professionellen Inklusionsbegleitern von Integra Mensch. Wöchentlich schauen diese im Bauhof vorbei und halten engen Kontakt zu den Partnerbetrieben.

 

Die Aufgaben

Das Aufgabengebiet eines Integra-Mensch-Beschäftigten wird nach einem Praktikum in einem Betrieb individuell erstellt. „Es sind Tätigkeiten, die die anderen Mitarbeitenden entlasten“, sagt Irmgard Neundörfer. „Unsere Mitarbeiter sind unterstützend dabei.

Einen anderen Kollegen müssen sie nie eins zu eins ersetzen.“ Für die Aufgabenverteilung im Bauhof Stegaurach legt Christian Zirkel Wert auf diese Feststellung: „Es arbeitet jeder mit jedem und jeder macht die gleiche Arbeit.“ Das treffe etwa aufs Unkrautzupfen zu, eine Arbeit, die keiner im Team besonders schätzt. Christian Fuchs und Donald Wohnfurter unterstützen beim Baumschnitt, bei der Grünflächenpflege und beim Räumen und Streuen im Rahmen des Winterdiensts. Gibt es Rückfragen oder Gesprächsbedarf, melden sie sich inzwischen auch direkt beim Chef, zu dem ein stützendes Vertrauensverhältnis besteht. „Wenn wir seit vier Wochen mähen, dann kommen sie schon zu mir und fragen, wann ich wieder eine andere Aufgabe habe“, sagt Zirkel. Die besondere Fürsorgepflicht wirkt sich dennoch auf die Arbeitsorganisation aus. „Bei gefährlichen Arbeiten, z. B. im Straßenbegleitgrün, kann ich die beiden nicht einsetzen“, erklärt Christian Zirkel.

 

Kontakt unter den Bauhöfen stärken

Jedes Jahr treffen sich die Integra-Mensch-Beschäftigten der sechs Bauhöfe aus dem Landkreis zusammen mit ihren Paten, den Bauhofleitern und deren Stellvertretern. Ende Juli fand das Treffen in Burgebrach statt. Die Zusammenkunft wurde unter Beachtung der Corona-Regeln auch 2020, damals im Bauhof Stegaurach, und 2021 möglich gemacht. Bei den Treffen wird gemeinsam gegessen, gefeiert und gefachsimpelt. „Dadurch haben auch die Bauhöfe untereinander Kontakt“, berichtet Christian Zirkel. Zudem gibt es eine Fachvorführung einer Firma, in diesem Jahr von Akkugeräten des Herstellers Husqvarna. 2021 stellte Bremicker Verkehrstechnik im technischen Teil die Möglichkeiten von Gussasphalt vor, sagt Zirkel.

 

Anspruch auf Partizipation und Inklusion

Das Projekt basiert auf dem Fachkonzept der Sozialraumorientierung der Universität Bamberg. Das „SONI-Modell“ zielt darauf ab, Menschen mit Beeinträchtigungen innerhalb der Gemeinde „wieder sichtbar“ zu machen. Für die Lebenshilfe Bamberg wurde das Konzept für die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung angepasst. In die Werkstätten der Lebenshilfe werden die Beschäftigten täglich mit Bussen gebracht, aus dem Dorfbild oder dem Stadtleben sind sie damit verschwunden. Es entstehen Berührungsängste, viele Menschen verlieren den Bezug zu Mitbürgern mit Handicap. Das Prinzip der Sozialraumorientierung nimmt die Bürger wieder in die Verantwortung, unterstützt von Fachleuten. Durch das wohnortnahe Arbeiten haben die behinderten Menschen direkten Bezug zu ihrer Umgebung und sind dort – gerade als Mitarbeitende des Bauhofs – täglich präsent. Ihr Anspruch auf Partizipation (Teilhabe) und Inklusion, dem Wunsch, dort zu arbeiten, wo andere auch arbeiten, wird damit erfüllt. „In den Bauhöfen wird das super umgesetzt“, lobt Neundörfer. Ziel ist, aus einem Patenschafts-Arbeitsplatz in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu wechseln, auch mithilfe eines speziellen Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebots im Rahmen des „Bamberger Modells“.

Inklusionskonzept für Stadt und Landkreis Bamberg

„Unser Ziel: Menschen mit Behinderung in Stadt und Landkreis Bamberg haben Zugang zu allen Organisationen und Angeboten in den Gemeinden. Sie können ihre Arbeit in einem offenen, für alle gleich zugänglichen Arbeitsmarkt frei wählen. Gemeinsam sind wir integra MENSCH!“, heißt es in einer Veröffentlichung der Einrichtung.

Das 2004 gestartete Projekt der Lebenshilfe Bamberg richtet sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten, psychischen Erkrankungen oder Körperbehinderungen. Für sie ist es eine Alternative mit Perspektive zur Arbeit in einer Werkstatt der Lebenshilfe. Es entstand aus dem Wunsch einer Mitarbeitenden, die nach einem längeren Klinikaufenthalt den Wunsch äußerte, selbst in der Pflege arbeiten zu dürfen. Aus dieser Einzelfallhilfe entwickelte sich schließlich integra MENSCH mit aktuell 160 Beschäftigten in inzwischen 107 Patenbetrieben in Stadt und Landkreis Bamberg. Die Großbuchstaben im Projektnamen sind Absicht. Sie sollen verdeutlichen, dass der Mensch selbst im Mittelpunkt steht und nicht seine Behinderung.

Inklusion

Inklusion begreift etwas Kleineres als Bestandteil eines größeren, umfassenden Ganzen. Ziel von Inklusion ist eine gleichberechtigte Gesellschaft mit gleichen Chancen für alle, von Anfang an. Der früher verwendete Begriff Integration bezeichnet das Bemühen, etwas in ein größeres Gefüge einzupassen. Er geht von einer Anpassung der Schwächeren an die Gesellschaft oder eine Gruppe aus. Rechtsgrundlage von Inklusion ist seit 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Ihr zentrales Ziel ist eine inklusiv gestaltete Gesellschaft.

Die Autorin

Ulrike Reschke
Freie Journalistin
redaktionreschke.blog

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