MEIN TEAM UND ICH
Kollegiale Fallberatung+
Text | Foto (Header): © Andrea M. Vogel
Die kollegiale Fallberatung bietet eine gute Möglichkeit, von anderen zu lernen und gleichzeitig andere an der eigenen Erfahrung und Kompetenz teilhaben zu lassen. Mit dem + führt sie zu noch mehr Erfolg.
Auszug aus:
der bauhofLeiter
Ausgabe Februar 2021
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INHALTE DES BEITRAGS
Was passiert nun bei der Kollegialen Fallberatung?
1. Rolleneinteilung
2. Anliegen formulieren und sammeln der Fälle
3. Vorstellung des ersten Falles durch einen Fallspendenden (5-10 Min)
4. Nachfragen (5 Min) durch Beratende
5. Sammeln von Einfällen (Hypothesenbildung 10 Min) durch Beratende
6. Kommentar des Fallspendenden (5 Min)
7. Sammeln von Lösungsvorschlägen (10 Min)
8. Kommentar des Fallspendenden (5 Min)
9. Allgemeiner Austausch und Teilen (10 Min)
10. Abschluss mit Feedback (5-10 Min)
Und was kann das Ganze bringen? Wo liegt der Nutzen?
Sollten Sie nun Lust bekommen haben, die Kollegiale Fallbearbeitung+ mal persönlich ausprobieren, ist das möglich…
Es gibt viele Wege zu lernen und sich weiter zu entwickeln.
Sie können Seminare besuchen, dabei theoretische Grundlagen erwerben, in vorgegebenem Rahmen Neues üben und ausprobieren. Sie können auf Tagungen gehen und aktuelle Themen kurz und prägnant präsentiert bekommen und als Inspiration mitnehmen. Sie können sich Einzelcoaching gönnen und mit einer wohlwollenden Person als Gegenüber Ihre persönlichen Entwicklungsthemen sehr konkret angehen. Und Sie können auch die Erfahrung, das Wissen und die Kompetenz von Kolleginnen und Kollegen nutzen und diese von Ihrem Erfahrungsschatz profitieren lassen.
Und da sind wir schon mittendrin. Das Instrument, das ich Ihnen vorstellen möchte, ist die „kollegiale Fallberatung“ mit einem kleinen +.
Schon in den 70er-Jahren wurde die kollegiale Fallberatung als Reflexionsinstrument bei der Ausbildung von Lehrenden verwendet, die ihre Themen im Umgang mit Schülern in Kleingruppen besprechen sollten. Mittlerweile wird diese Methode in vielen Organisationen eingesetzt, zum Teil mit externer Unterstützung und zum anderen Teil in Selbstorganisation. Ziel ist, Problemlösungskompetenz bei den Mitarbeitenden und Führungskräften aufzubauen.
Was passiert nun bei der Kollegialen Fallberatung?
Eine Gruppe von Menschen trifft sich mit dem Ziel, gemeinsam Themen zu bearbeiten, für die man alleine keine oder nur eine unbefriedigende Lösung findet. Die Gruppe kann ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein. In der Regel sind die Erfahrungswelten ähnlich. Zum Beispiel treffen sich Führungskräfte einer Hierarchieebene, wie z. B. die Führungskräfte einer Verwaltung. Oder in einem anderen Szenario treffen Führungskräfte aufeinander, die alle gleiche Aufgaben haben, wie z. B. Bauhöfe zu leiten, aber bei unterschiedlichen Arbeitgebern beschäftigt sind.
Die Kollegiale Fallberatung als Instrument hat eine ganz spezielle Struktur, wie sie im Folgenden dargestellt wird.
1. Rolleneinteilung
Als erstes verteilt man Rollen.
Man braucht eine Person, die die Beratung moderiert. Das Arbeiten in einer Gruppe führt nicht automatisch zu guten Ergebnissen. Moderation bedeutet, dass jemand den Ablauf vorstellt und dafür sorgt, dass er auch eingehalten wird. Dabei muss auf die Zeit geachtet werden, der Anfang und das Ende einer Beratungseinheit gestaltet werden und ein guter Übergang zum nächsten Fall geschaffen werden. Diese Person ist weder Gruppenleitende noch ein Experte des Themas. Natürlich kann sie auch an der Beratungsarbeit mitmachen. Die Rolle des Moderierenden kann auch bei jedem Fall getauscht werden.
Die andere Rolle ist die eines Fallvorstellenden. Wer ein Anliegen hat, kann es zur Beratung stellen.
Die restlichen Gruppenmitglieder sind nun Beratende, die ihre Erfahrungswelt zur Lösung von Themen zur Verfügung stellen.
2. Anliegen formulieren und sammeln der Fälle
Sind die Rollen verteilt und klar, geht es daran, die Themen zu sammeln, die bearbeitet werden sollen. Jede Person darf ihr Anliegen erst einmal für sich selber formulieren. Und hier gewinnt das „+“ an Bedeutung. Anliegen gut zu formulieren, ist oft nicht ganz leicht. Es passiert was, man fühlt sich so, wie man sich nicht fühlen möchte und weiß, da passt was nicht.
Störungen und Probleme, die auftauchen, bedürfen eines tieferen Blickes. Und dieser tiefere Blick soll das „+“ darstellen: Störungen sind vielschichtig. Sie haben einen Ursprung, ein Umfeld, zeigen sich unterschiedlich und lösen unterschiedliche Gefühle in einem aus. Diesen tieferen Blick unterstützt das Thomann-Schema: Jede Person stellt sich die folgenden Fragen und beantwortet sie erst einmal für sich selber und zeichnet die Antworten in diese Vorlage ein. Mögliche Fragestellungen können sein:
• Kann ich meinem Anliegen eine Überschrift geben?
• Wie wäre die Überschrift, wenn sie von einer Boulevardzeitung käme?
• Wer ist/war alles an der Situation beteiligt?
• Gab es einen konkreten Auslöser? Was geht mir noch nach, wenn ich schon wieder zu Hause bin?
• Was passiert gerade in mir: blanke Wut, Ärger, Ohnmacht, Sprachlosigkeit, Erlösung…? Welche Gefühle sind gleichzeitig da? Welche sind am lautesten? Welche Stimme ist gar so leise, dass ich sie fast nicht wahrnehmen kann? …
Das ist mein Anliegen an die Gruppe… Wie kann ich mit dieser Situation umgehen? Oft sind Themen von außen angestoßen worden, dann gibt es z. B. einen „Knall“ als auslösenden Moment oder sie schleichen sich sachte an, werden uns bewusst und lösen in uns eine ungeheurere Gefühlslage aus. Ein Ausweg, eine Entwirrung ist dann manchmal für einen selbst nicht sichtbar.
Wenn also nun Themen gefunden sind, dürfen die Teilnehmenden natürlich entscheiden, ob sie ihr Thema auch vorstellen wollen. Manchmal gibt es ganz ähnliche Themen, die von unterschiedlichen Personen eingebracht werden. Dann kann es sinnvoll sein, ein Thema stellvertretend für die ähnlichen Themen zu bearbeiten. Es muss auf alle Fälle festgelegt werden, welche Fälle und in welcher Reihenfolge sie bearbeitet werden sollen. So kann man sich gut orientieren.
3. Vorstellung des ersten Falles durch einen Fallspendenden (5-10 Min)
Der erste Fall wird vorgestellt. Die vorstellende Person erzählt, um was es geht. Sie versucht, möglichst genau die Situation darzustellen, was passiert ist, was sie bereits versucht hat, um mit der Situation umzugehen und sie formuliert einen Auftrag an die Gruppe. Die moderierende Person achtet darauf, dass die vorstellende Person nicht unterbrochen wird. Und die anderen, die die Beratungsrolle haben, beobachten die fallvorstellende Person und achten dabei auf die Stimme, die Haltung, die Körpersprache, den Tonfall, die Reihenfolge im Vortrag und was das Thema bei ihnen selber für Empfindungen auslöst. Diese „non-verbalen“ Anteile zeigen viel über die Intensität des Themas und geben vielleicht schon erste Hinweise.
4. Nachfragen (5 Min) durch Beratende
Die Beratenden dürfen nun Verständnis- und Informationsfragen stellen. „Ich will verstehen, um was es geht, was das Thema ist“. Lösungsvorschläge haben hier noch KEINEN Platz. Es mag verlockend sein, schon die eigenen Erfahrungen einzubringen oder gar in eine Diskussion einzusteigen. Da muss die moderierende Person wach sein. Ziel ist, alle Informationen zu sammeln, um das Thema zu begreifen zu können.
5. Sammeln von Einfällen (Hypothesenbildung 10 Min) durch Beratende
Sind die Inhalte geklärt, sammeln die Beratenden ihre Ideen, Assoziationen, Phantasien, die die Falldarstellung ausgelöst hat. Um was könnte es gehen? Hat jemand schon eine Idee? Wie fühlt sich das an? Wo liegt der Hund begraben? Mit wem kann man sich am meisten identifizieren und warum ist das so? Wen verstehe ich am besten?
Der Falleinbringende muss sich an dieser Stelle zurückhalten und schweigen und sich auf das konzentrieren, was die Beratenden diskutieren. Das kann Schwerstarbeit bedeuten, wo es doch um den eigenen Fall geht und dann darf man im Moment nur zuschauen. Das ändert sich gleich im nächsten Schritt.
6. Kommentar des Fallspendenden (5 Min)
Hier darf endlich Rückmeldung gegeben werden. Die fallspendende Person sagt, was sich für sie stimmig anhört, was vielleicht ganz neu ist, was weiterführend sein kann. Die Gruppe hört zu.
7. Sammeln von Lösungsvorschlägen (10 Min)
Die Beratenden werden wieder aktiv. Sie sammeln und spenden aus ihrer Erfahrungswelt Lösungsansätze. Dabei stellen sich Fragen wie: Was würde ich in so einer Situation tun? Was habe ich in einer ähnlichen Situation schon mal gemacht? Wie erfolgreich war das Ganze? Was könnte hier helfen? Wer könnte helfen? Und so weiter.
Die fallspendende Person lauscht mit einer inneren Haltung, die am besten offen ist für Überraschendes. Noch gibt es keinen Raum für Wertungen der einzelnen Vorschläge oder Einwürfen oder Richtigstellungen. Diese würden das Brainstorming, also die kreative Kraft der Gruppe, frühzeitig bremsen. Und das wäre schade.
8. Kommentar des Fallspendenden (5 Min)
Nun darf die fallspendende Person das Gehörte für sich betrachten und darf sich die Vorschläge, Hinweise, Tipps etc. herauspicken, die für ihn/sie neu sind, interessant sind, brauchbar erscheinen, wert sind, ausprobiert zu werden. Die Gruppe hört zu.
9. Allgemeiner Austausch und Teilen (10 Min)
Endlich dürfen alle mitmachen. Es soll ein gemeinsames Gespräch und Austausch geben über Dinge, die vielleicht noch unklar geblieben sind. Vielleicht können auch schon vertiefende Lösungsansätze entwickelt werden und erste Schritte zur Umsetzung Richtung Veränderung geplant werden.
Wenn es um neues Verhalten geht, könnte ein Rollenspiel helfen. Spielerisch könnten unterschiedliche Alternativen ausprobiert und geprüft werden, was gut zu einem passt.
Es ist auch sehr interessant zu erfahren, wie es der Gruppe und der vorstellenden Person in ihren Rollen ergangen ist, wie sie den Prozess erlebt haben. Vielleicht erzählen Teilnehmende ihre Erfahrungen aus ähnlichen Situationen.
10. Abschluss mit Feedback (5-10 Min)
Es ist Zeit, einen Blick zurückzuwerfen und ein persönliches Resümee zu ziehen, bevor man einen nächsten Fall bearbeitet.
Und was kann das Ganze bringen? Wo liegt der Nutzen?
Ich finde dieses Instrument einfach klasse.
1. Die fallspendende Person setzt sich intensiv mit dem Thema auseinander, lernt unterschiedliche Blickweisen, versteht das Thema besser, kann Dynamiken erkennen und auch eigene Anteile. Sie bekommt mögliche Lösungen geschenkt, kann Fragen stellen, ausprobieren und sich inspirieren lassen.
2. Die Beratenden erleben sich in ihrer Kraft, erkennen, dass sie bereits über einen eigenen Erfahrungsschatz verfügen, spüren ihre Kompetenz, können allein schon durch das Beobachten und Hineinversetzen lernen und können gemeinsam Lösungen entwickeln.
UND INSGESAMT? Das Leben ist für niemanden leicht und jede Person stößt an Punkte, wo altes Verhalten nicht mehr greift und neue Lösungen gefunden werden müssen. Das ist Leben und Lernen. Warum immer nur allein? Viele Erfahrungswelten bringen bessere Lösungen!
Vielleicht gewinnen Sie ein Netzwerk, das bei Bedarf auch weiterhin Unterstützung gibt.
Sollten Sie nun Lust bekommen haben, die Kollegiale Fallbearbeitung+ mal persönlich ausprobieren, ist das möglich…
…bei den bauhofLeiter Führungstagen 2022. Dort können Sie zusammen mit mir als moderierende Person pro Tag vier bis fünf Fälle bearbeitet. Zwischen den einzelnen Fällen werde ich kleine theoretische Inputs geben, wie die zu den eingebrachten Fällen passen. Das könnte spannend werden. Mehr unter www.bauhof-leiter.de/veranstaltungen.
Die Autorin
Andrea M. Vogel, Diplom-Kauffrau, berät seit 1997 Kommunen und da im besonderen Bauhöfe bei betriebswirtschaftlichen Fragestellungen, Organisationsentwicklungen und coacht Bauhofleitende als Business Coach.
GedankenGUT Business Coaching und Beratung, München
www.GedankenGUT-muc.de